Interview mit Janina Dillig (Uni Bamberg)

Portrait von Janina Dillig
Portrait von Janina Dillig

Janina Dillig hat an der Universität Bamberg und an der University of the South  (Sewanee, USA) Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft studiert und in der älteren deutschen Literaturwissenschaft an der Universität Bamberg promoviert. Im Anschluss arbeitete sie zunächst im Qualitätsmanagement für Studium und Lehre an der Universität Bamberg. Aktuell (2019) ist sie Mitarbeiterin sowohl im Frauen*büro als auch in der Kontaktstelle Studium und Behinderung an der Universität Bamberg. In beiden Funktionen übt sie mehrere Tätigkeiten aus, primär aber agiert sie als Koordinatorin zweier Mentoring-Programme. FeRNet richtet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen* und ist ein Mentoring der Frauen*-Beauftragten. Jüngst koordiniert Frau Dillig das "MIT": ein Mentoring- und Informationsprogramm für die aktive Teilhabe von Studentinnen* und Doktorandinnen* mit Behinderungen. MIT soll helfen, mit Behinderung oder chronischer Krankheit eine Promotion anzustreben und auch abzuschließen. Parallel dazu arbeitet Frau Dillig an der Publikation ihrer Dissertation und ihrem Habilitationsprojekt. Sie ist hörbehindert und Mutter einer Tochter.

1. Wie haben Sie Ihre Zeit an der Hochschule bis jetzt empfunden? Welche Vorbilder hatten/haben Sie und wo sehen Sie Ihre eigenen Stärken?

Ich kann das nicht an einer Emotion festmachen, das universitäre Leben ist dazu viel zu sehr Teil meines Lebens. Ich bin auch schon sehr lange dabei. Auch Vorbilder habe ich viele. Ich habe das Privileg, immer wieder neue Menschen zu treffen, von denen ich lernen kann, ganz besonders akademisch. Im Zentrum steht aber sicherlich meine Doktormutter, die mich bereits im Studium inspiriert hat und ohne die ich keine akademische Karriere gestartet hätte. Sie ist aber sicherlich nicht die Einzige, ob nun mit Behinderung oder ohne. Meine Stärken sehe ich in meinem Organisationstalent, meinem breiten Wissen und meiner Kompetenz, Sachverhalte schnell zu durchblicken; das hat aber sicherlich alles wenig mit meiner Behinderung zu tun. Wenn ich sagen müsste, was meine Stärken aufgrund meiner Behinderung sind, dann ist es sicherlich bei einem geisteswissenschaftlichen Studium wie meinem sehr von Vorteil gewesen, nicht so gut zu hören wie andere, weil ich so gezwungenermaßen mehr gelesen habe. Man lernt aber durch eine Behinderung immer Dinge, die man sonst nicht so lernen würde und die letztendlich zu Stärken werden.

2. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Inklusion an Hochschulen? Wie hat sich Verständnis, Umgang und Abbau von Barrieren im Laufe der Zeit verändert?

Die Entwicklung von Inklusion an deutschen Hochschulen sehe ich sehr positiv. Ich habe zu Beginn meines Promotionsstudiums noch gekämpft, um eine Mikrofon-Anlage zu finanzieren. Die Ablehnungen wurden damit begründet, dass ich ja bereits einen Berufs-qualifizierenden Abschluss hätte. Eine Promotion für mich mit Behinderung galt als unnötig, egal wie begabt ich war. Auch Technik, um zu unterrichten, war damals noch utopisch: Hörbehinderte als Universitätsdozent*innen waren nicht vorgesehen. Bei all dem hat sich viel getan: So nutze ich heute Technik, die der Universität gehört. Die Studierenden in meinen Kursen beschweren sich nicht – im Gegenteil, viele berichten mir, dass sie die Strukturiertheit der Diskussion als angenehm empfinden, die meine Mikrofone bringen. Weiter sehe ich in meiner täglichen Arbeit, dass mehr und mehr Studierende sich nicht alleine durchs Studium kämpfen. Sie vernetzen sich zum Beispiel in Selbsthilfegruppen wie HOPES an der Universität Bamberg. Auch der Nachteilsausgleich im Studium wird mehr und mehr zur Normalität, sowohl auf Seiten der Lehrenden als auch auf Seiten der Studierenden mit Behinderungen, die zunehmend ihre Rechte einfordern. Ich sehe ein gesamtgesellschaftliches Verständnis dafür entstehen, dass Behinderung oder chronische Krankheit auch eine Bereicherung sein kann. Noch hat sich das nicht überall in Barrierefreiheit übersetzt, aber wir alle sind noch Lernende.

3. Wenn Sie Ihren eigenen Arbeitsbereich betrachten: Mit welchen Problemen haben Frauen* an Hochschulen am meisten zu kämpfen?

Das ist ganz klar aus meiner Sicht die Doppelbelastung aus Familiengründungsphase und langer Qualifizierungsphase bis zum Ende der Habilitation bzw. der möglichen Berufung auf eine Professur. Speziell die Universität Bamberg ist zwar eine familiengerechte Hochschule und unterstützt Nachwuchswissenschaftlerinnen* wie mich sehr, aber intensive Schreibphasen sind im Alltag mit Kind(ern) nur schwer zu realisieren und auch die Mobilität einer Wissenschaftlerin ist mit Baby oder Kleinkind(ern) enorm eingeschränkt.

4. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass man als Frau* und gleichzeitig als jemand mit Behinderung an der Hochschule mehrfach beeinträchtigt ist? Oder kennen Sie solche Mechanismen von anderen Frauen*?

Nein und ja. Ich selbst mache immer wieder die Erfahrung, dass sich alle um mehr Barrierefreiheit bemühen, wenn man offensichtlich doppelt oder gar mehrfach belastet ist. Gleichzeitig aber sehe ich an mir selbst, dass ich zum Beispiel Veranstaltungen manchmal nicht wegen fehlenden Babysitters und manchmal nicht aus gesundheitlichen Gründen besuchen kann. Das ergibt schon insgesamt mehr Beeinträchtigung.

5. In welchen Hochschulbereichen, im Hinblick auf Frauen* mit Behinderungen, gibt es den dringendsten Handlungsbedarf?

Ich sehe aktuell den größten Handlungsbedarf beim Übergang vom Master-Studium zur Promotion: noch wagen viel zu wenig Master-Studentinnen* eine Promotion; zum einen, weil schon das Studium oft viele Ressourcen gekostet hat und zum anderen, weil es noch immer viel zu wenig Strukturen gibt, um eine wissenschaftliche Karriere mit Behinderungen möglich zu machen. So gibt es zum Beispiel keinen Finanzierungsausgleich für einen Lehrstuhl, wenn ein*e wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in mit Behinderung eine Lehrdeputats-Reduktion braucht, ebenso wie nicht in allen Bundesländern die finanziellen Kosten von Mutterschutz und Elternzeit auch wirklich auf der Ebene der Lehrstühle ausgeglichen werden. Solange es dafür aber noch keine transparenten und bekannten Strukturen gibt, ist auch klar, warum Lehrstuhlinhaber*innen vor der Einstellung einer Mitarbeiterin* mit Behinderung(en) zögern.

6. Wie sollte die Lehr- und Lernkultur an Hochschulen ausgerichtet sein, damit alle daran teilhaben können?

Ganz klar ist das Wichtigste, dass alle erstmal grundsätzlich bereit für Diversität sind und dann, dass es kompetente Ansprechpartner*innen an den Hochschulen gibt, die hierzu Fragen von allen beantworten. Noch ist es leider viel zu oft so, dass zum Beispiel wir als Kontaktstelle Studium und Behinderung bei den Lehrenden als Advokaten beeinträchtigter Studierender gelten und zu wenig als Anlaufstelle für Fragen bei der Umsetzung von Lehre für Studierende mit Beeinträchtigungen.

7. Welche Projekte/Leitfäden/Hilfen usw. gibt es an der Universität Bamberg? Welche halten Sie für besonders wirksam?

Wir haben an der Universität Bamberg in der Kontaktstelle zahlreiche Projekte und bieten Hilfestellung auf mehreren Ebenen, auch oft unterstützt von der Vertrauensperson der Schwerbehinderten. Für besonders effektiv halte ich unsere Handreichung für Lehrende für den Umgang mit beeinträchtigten Studierenden, die in gedruckter Form an zahlreichen Stellen an der Universität ausliegt und die auch auf unserer Homepage heruntergeladen werden kann. Und dann hoffe ich natürlich, dass unsere Teilnahme am Fachkolleg die Themen der Inklusion an der Universität noch mehr in die Mitte unserer Universitätskultur bringt.

8. Was kann Ihrer Meinung nach die Politik zu einer inklusiven Hochschule beitragen?

Sie muss dringend dauerhafte Strukturen schaffen, die die Inklusion von Personen mit Behinderungen in der Wissenschaft möglich machen, zum Beispiel über einen Ausgleichsfond, wenn Wissenschaftler*innen mit Behinderungen Lehrdeputats-Reduktionen benötigen oder auch durch zusätzliche Mitarbeiter*innen-Stellen für Nachwuchswissenschaftler*innen mit Behinderungen. Das Projekt "PROMI – Promotion inklusive" der Uni Köln war hier ein sehr guter Ansatz.

9. Was würden Sie Studentinnen* mit Behinderungen mitgeben, damit sich diese für eine akademische Laufbahn entscheiden?

Ich würde dazu raten, mit der eigenen Behinderung offen umzugehen. Es gibt so wenige Menschen mit Behinderungen in der Wissenschaft, dass wir oft noch schlicht als Botschafter*innen agieren. Ich treffe nur wenig auf Ablehnung oder gar Diskriminierung, aber viel zu oft auf schlichtes Unwissen, wie Inklusion funktionieren kann. In diesem Fall hilft ein offener Umgang mit den eigenen Bedürfnissen und viel Geduld beim Erklären dieser.

Herzlichen Dank für das Interview.

Stand: 2019

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